Eine Tradition stirbt aus
Liebesideale
«Aus dem täglichen Besuche der von der Mutter her verwandten Familie Freivogel im Rössli dahier […]; aus gemeinsamen Spielen etc. lernte ich die Tochter Rosina kennen und gewann solche Neigung zu ihr, dass sich das erste Gefühl der uneigennützigen Liebe in meiner Brust regte, zumal ich aus Blicken, Gruss und Rede auf Gegenliebe schliessen konnte. Ihre Besuche bei uns im Laden, die Schule wo wir einander gegenüber sassen, sie nach mir, ich nach ihr blickte und die Gelegenheiten die wir suchten uns zu treffen, meine abendlichen Spatziergänge bei ihrem Garten vorbei, wo sie im Gartenhäuslein von Haselgesträuch nach Feierabend sich aufhielt, die mir zugewinkten Grüsse und meine Gegengrüsse. Das gesuchte Zusammentreffen beim Kirchgange, alles dies nährte meine jugendlichen Träume der Zukunft. Ich fand in ihr das Wesen, mit dem ich sympathisch verbunden war, von dem Hölty dichtete: ‹Beglückt beglückt er die Geliebte findet, die seiner Jugendträum begrüsst: wo Arm um Arm, und Geist um Geist sich windet, und Seel in Seele sich ergiesst.› Sie war auch meiner tiefsten Sympathie werth, ihr sanftes Gemüth, die liebewekenden Gesichtszüge, das milde blau Auge, die raben schwarzen Haare, die sanfte Sprache und der schlanke graziöse Wuchs mussten die Liebe wecken.»(1) Mit diesen Worten erinnerte sich der Gelterkinder Händler Friedrich Aenishänslin 1885 an seine erste Liebe. Was er beschrieb, ist eine geist- und gefühlsvolle Beziehung, sozusagen das Idealbild bürgerlicher Liebe.
(1) Matthias Manz/Regula Nebiker: Mein Leben. Erinnerungen von Friedrich Aenishänslin (1815-1890) Gelterkinden, in: Baselbieter Heimatbuch 17, 1989, S. 119f.