Wortkarge Liebe
Gewandt und wortreich von Gefühlen zu sprechen, will gelernt sein. Die Kultivierung des Gefühls entsprach einer bestimmten Vorstellung von Liebe, Ehe und Familie, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt hatte. Dass Gefühle ein Ehemotiv sein können, gehörte zum Modell der bürgerlichen Familie, das sich im 19. Jahrhundert durchzusetzen begann. Heimposamenterinnen oder Fabrikarbeiter verfügten aber nicht über dieselbe Bildung wie Akademiker oder Bildungsbürger. Ihre Art, Gefühle auszudrücken, erschien den Gebildeten oft roh. Wie etwa die Liebesgeschichte einer Posamenterin in ihren eigenen Worten gelautet hätte? Mangels Überlieferung ist davon kaum etwas bekannt. Vielleicht hätte sie sich ähnlich ausgedrückt wie jene Frau aus Thürnen, die in den 1920er-Jahren ihre Verlobung so schilderte: «Er hat mich einfach gefragt, ob ich ihn wolle, wenn er mich wolle, und dann haben wir zusammen einen Halben genommen und geheiratet.»(1)
(1) Staatsarchiv Baselland, PA 5256 Eduard Strübin (Zeitungsartikel Volksstimme, Nr. 21, 1978)