Ergänzender Artikel zu:
Aufwachen in der Risikogesellschaft

Erinnerungen an die Angst

Cornelia Kazis, Radio-Journalistin, schrieb ihrer dreijährigen Tochter nach dem Brand in Schweizerhalle 1986 ins Tagebuch: «Du schliefst, den grauen Elefanten fest an dich gedrückt, in unserem Bett, als G. kurz nach vier anrief, weinte und von uns wissen wollte, ob es besser sei, sich in nasse Tücher zu hüllen und sich ins Auto zu setzen, um möglichst weit wegzufahren, oder hinter geschlossenen Fenstern und Türen abzuwarten, einfach zu warten, bis alles vorbei wäre. In unserem Haus roch es, als hätte jemand draussen im Garten zentnerweise Zwiebelhäute und bengalische Zündhölzer verbrannt. Langsam fand ich aus dem Schlaf zu dem, was G. zu berichten hatte. Ich wollte lieber zu Hause bleiben und abwarten, ging, als wäre es reine Routinesache, durchs Haus und schloss sämtliche Fenster, weckte deinen Vater und streichelte dich […] Ein Reporter vom Regionaljournal, den ich in der Radiokantine manchmal sehe und mit dem ich ein Dutzend Worte wechsle, hatte mir inzwischen […] mitgeteilt, dass alles so ist, wie ich schon dachte, dass es sei. Nun musstest du weiterschlafen. Hätte ich eine Stimme gehabt, um dir das alte Schlaflied zu singen von der Mutter, die Bäume schüttelt, von denen Träume fallen? Als A., mein Mann, dein Vater, endlich kam, trug er ein Tablett mit Kerzen, Kaffee, Tee und Zopf vor sich her und sagte: ‹Noch einmal Tee, noch einmal Kaffee, noch einmal Zopf, noch einmal Frühstück.› Er lachte, als er das sagte. Ich lachte auch und wusste, dass hinter dem Lachen die Tränen waren und die Gedanken an den Tod.»(1)

(1) Cornelia Kazis: Aus dem Tagebuch einer Mutter, in: Guido Bachmann/Peter Burri/Toya Maissen: Das Ereignis. Chemiekatastrophe am Rhein, Basel 1986, S. 193-194

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