Privatisierung von Ritualen
Am Beispiel des Begräbnisses lässt sich gut nachvollziehen, wie sich religiöse Rituale veränderten. Galt das Schaufeln des Grabes anfänglich als nachbarschaftlicher Freundschafts- und Ehrendienst, wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überall bezahlte Totengräber angestellt. Das Tragen des Sarges auf dem oft langen Weg vom Trauerhaus zum Friedhof erübrigte sich, als die Gemeinden damit begannen, Leichenwagen anzuschaffen. Die Gemeinde Pratteln etwa sah sich 1874 im Gefolge einer Cholera-Epidemie veranlasst, einen Totenwagen zu kaufen. Ein nächster Schritt war der Bau von Leichenhallen, wo nun die Toten statt im Trauerhaus aufgebahrt wurden. Damit entfiel in den meisten Gemeinden nach der Mitte des 20. Jahrhunderts allmählich auch der Trauerzug zum Friedhof. Wachsende Mobilität, konfessionelle Durchmischung und zunehmende Anonymität entzogen der Anteilnahme der Nachbarschaft und des ganzen Dorfes am Bestattungsritual den Boden. Die allmähliche Verbreitung der Kremation tat noch das ihre dazu. Und besonders in den grossen, quasi städtischen Ortschaften gerieten Tod und Bestattung immer mehr zu einer privaten Angelegenheit der Familie und eines nahen Bekanntenkreises. Für religiös indifferente Menschen ist die Konfrontation mit dem Tod oft noch die einzige Gelegenheit, die Dienste der Kirchen in Anspruch zu nehmen. Aber auch dies geschieht nun in einem privaten Rahmen, weitab von der öffentlichen Inszenierung im traditionellen Ritual.