Katholische Sondergesellschaft
Das Zusammenleben mit Frauen und Männern anderer Konfession war im ausgehenden 19. Jahrhundert für viele eine neue Erfahrung und gestaltete sich nicht immer einfach. Oft lebten die Zugewanderten der Minderheits-Konfession vorwiegend in bestimmten Quartieren. Die katholische Kirche suchte ihre Schäfchen in einem dichten Netz von Organisationen zusammenzuhalten: Bruderschaften, Volksverein, Jünglingsverein, Marianische Jungfrauenkongregation, Mütterverein und viele mehr. Die bedeutendsten katholischen Jugendorganisationen der Schweiz, die Jungwacht und der Blauring, entstanden im Baselbiet; sie gehen auf die Initiative des Birsfelder Pfarrers Krummenacher anfangs der 1930er-Jahre zurück. Vereine galten als die «Kerntruppen der Seelsorger»(1) und waren ein zentrales Element der so genannten katholischen Sondergesellschaft. Die aus den katholischen Stammlanden kommenden Geistlichen hatten nicht selten Mühe, sich in der Diasporasituation zurechtzufinden. Oft stiessen sie mit einer aggressiven Polemik, insbesondere in der Frage der Mischehen, ihre reformierte Umgebung vor den Kopf. Kaum weniger provozierend wirkten anfänglich die Fronleichnamsprozessionen, welche seit den 1920er-Jahren als Demonstration katholischer Gläubigkeit inszeniert wurden. Eine solche führte in Liestal 1926 zu einer heftigen Pressepolemik. Misstrauische Abwehr prägte so noch lange das Zusammenleben. Sie wich erst im Verlaufe der späten 1960er- und der 1970er-Jahre einem Geist ökumenischer Verständigung und Zusammenarbeit.
(1) Pfarrblatt für die Katholiken der Stadt Basel, 15. März 1912