Arbeit gegen Schule
Es waren nicht nur die Politiker, die im 19. Jahrhundert über das Gelingen des Bildungsausbaus befanden. Zum Erlahmen des Schwungs trug nämlich auch der weniger laute als viel eher stumme Protest weiter Teile der Bevölkerung bei. Viele Eltern vermochten nicht einzusehen, welchen Sinn die Schule für ihre Kinder haben sollte. Und selbst wenn sie es einsahen: Sie brauchten die Arbeitskraft der Kinderhände auf dem Feld, am Webstuhl, im Stall. Ausbildung war für sie nicht schulisch, sondern an der Praxis der Berufsarbeit orientiert. Es wäre falsch, die Feindschaft gegen die Schule nur der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung mit ihren an der Tradition orientierten Lebensgewohnheiten zuzuschieben. Auch die mit den Begriffen Fortschritt und Modernität verbundene Arbeit, die Industriearbeit, forderte ihren Tribut. Die Menschen auf der Landschaft waren zum Teil so arm, dass ihre Kinder keine Socken trugen oder die Schuhe vor und nach dem Unterricht in der Hand hielten, um sie zu schonen. Dass zum Beispiel unter zehnjährige Kinder an der Schule vorbei in die Fabrik zur Arbeit gesandt wurden, kam häufig vor. Oft schickten die Eltern die Kinder einfach nicht zur Schule oder verwendeten keine Mühe darauf, die Kinder vom Schuleschwänzen abzuhalten. Ohne Zahl waren die Klagen der Lehrer gegen die Schulversäumnisse. Hinzu kam, dass die Gemeindebehörden der Forderung nach Bildung oft skeptisch gegenüberstanden, weil sie glaubten, durch ihre Ablehnung liessen sich Schulhausbauten vermeiden. Baute man aber kein Schulhaus, so hatte die Gemeinde Geld gespart.