Eine Tradition stirbt aus
Politik unter dem Kirchturm
Wenn die Männer der Baselbieter Gemeinden im 19. Jahrhundert ihre Autonomie gegen Eingriffe von aussen verteidigten, so hielten sie damit an politischen Formen fest, die eingespielt waren und sich über Jahrhunderte bewährt hatten. Diese Praxis könnte man als Kirchturmpolitik oder als politische Kultur der korporativen oder kollektiven Selbsthilfe bezeichnen. Die Gemeinden waren auch vor der Kantonstrennung von 1833 in der Lage gewesen, alltäglich auftretende Konflikte und Probleme zu bewältigen. Mit Lösungsmustern, in die sie auch die städtischen Instanzen einbanden, regelten sie einen wesentlichen Teil des täglichen Zusammenlebens und Wirtschaftens selbst. Obwohl individuelle Problemlösungsstrategien an Bedeutung gewannen, wurden die alten, kollektiven Strategien noch während des ganzen 19. Jahrhunderts angewandt. Exemplarisch lässt sich das am Wald und seiner Verwaltung zeigen. Weitere Beispiele sind die Art, wie die Frauen das Hebammenwesen oder die Ziefener Dorfteile ihre Waschhäuschen verwalteten. Solche genossenschaftlichen Formen der kollektiven Selbsthilfe kamen im Baselbiet auch noch zum Zuge, als die wirtschaftlichen Schwierigkeiten um die Wende zum 20. Jahrhundert zunahmen. Erst nachdem sie sich wiederholt als unzureichend erwiesen hatte, machte die politische Kultur der korporativen Selbsthilfe einem sozialstaatlichen Ansatz Platz. Der Ort dieser neuen politischen Kultur aber war nicht mehr in erster Linie die Gemeinde, sondern der Kanton und vor allem der Bund.