Die Akteure der Reformpolitik im ausgehenden 19. Jahrhundert
Gesetzlose Staatskirche
Man möge doch endlich einen Schritt zur rechtlichen Ordnung der Kirchenverhältnisse unternehmen, forderte 1849 der reformierte Liestaler Pfarrer Joseph Otto Widmann in einem Zeitungsartikel. «Sind diese, welche auf die höchsten Besitztümer des geistigen Menschen sich beziehen, vielleicht weniger wichtig als Gesetze über Strassen, Salz, Steuern, über materielles Wohl der Bürger?» Und an anderer Stelle: «Es wird politisiert mit Leidenschaftlichkeit von Jung und Alt, Hoch und Nieder, Gebildet und Unreif. Das kirchliche Interesse kann mit dem politischen nicht Schritt halten, so lange unsere Kirchgenossen gar keine andere Äusserung des kirchlichen Lebens als die des notdürftigen Kirchenbesuchs und der Teilnahme an den Pfarrwahlen kennen lernen.» Die Geistlichen seien die Kirche, hiesse es allgemein, und nicht selten würden Gläubige in die Arme von Sekten getrieben, «in welchen unter den Gliedern mehr kirchliches Interesse herrscht und für jedes Glied das Recht gilt, nach Befund der Umstände sein Wort oder Wörtlein mitzureden».(1) Pfarrer Widmann versuchte hier an einem Zustand zu rütteln, mit dem das Baselbiet bis weit ins 20. Jahrhundert hinein tatsächlich einzigartig dastand: Es gab keine gesetzliche Regelung des Kirchenwesens.
(1) Karl Gauss: Die Frage der reformierten Kirchenverfassung in Baselland, Liestal 1914 (Separatdruck aus dem Tagblatt der Landschaft Basel), S. 19f.
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