Ergänzender Artikel zu:
Vom «Schpittel» zum Spital

Die Eigensicht der Armen

Die Armen sahen sich nicht als Menschen, die ihre Armut aufgrund eines liederlichen Lebenswandels selbst verschuldet hatten, sondern als Opfer der Gesellschaft. Kleinere oder grössere Zwischenfälle, berufliche und biografische, Arbeitslosigkeit oder ein Unfall konnten unvermittelt und rasch den ohnehin harten und finanziell stets prekären Kampf ums Überleben in die Armut abgleiten lassen. Dann war man rasch ausgeschlossen. Schon der sonntägliche Kirchgang in unsauberen Kleidern konnte ausreichen, im Dorf an den Rand gedrängt zu werden. Wer arm war, blieb arm. An eine höhere Schulbildung war nur in den seltensten Fällen zu denken. Der besseren Gesellschaft war die Armut zwar ein Dorn im Auge, aber sie bekämpfte nie die Wurzel des Problems, sie milderte bloss einzelne Auswüchse. Den Gemeinden wiederum machte das knappe Budget einen Strich durch die Rechnung. Repressive Massnahmen wie Heiratsverbot, Wirtshausverbot, Bettelverbot, Verbot der ausserehelichen Schwangerschaft gingen oft am Ziel vorbei und waren in der Sicht der Armen blosse Schikane. Hinter Bezeichnungen wie «Liederlichkeit» oder «Anstand» steckten einseitige moralische Beurteilungen. Nicht nur der Posamenter in Oltingen, welcher jahrelang die Spitalrechnung für seine psychisch kranke Frau und die Kostgelder für die Kinder aus der eigenen Tasche beglich, hatte da eine andere Einschätzung.(1) Immer mehr war sein Verdienst gesunken, bis er nicht mehr hatte bezahlen können und amtlich ausgekündigt wurde. Er kam sich als «Fallit» und «Lump» vor.

(1) Christa Gysin-Scholer: Krank, allein, entblösst, Liestal 1997, S. 276f.

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Schpittel in Liestal, 1942

Video Clip - Abgeschoben und verwahrt: Leben in der Pfrund

 
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